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Schulsozialarbeit

Corona war ein Einschnitt

Die Schulsozialarbeit ist stark erweitert worden. Damit wuchs die begleitende sozial-wissenschaftliche Forschung. Den aktuellen Stand erläutert Professor Thomas Pudelko von der Hochschule für Soziale Arbeit und Pädagogik (HSAP) in Berlin.

„Die Klassenherkunft ist nach wie vor entscheidend für den Bildungserfolg. Dieses Thema muss sowohl in der Schulsozialarbeit als auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung eine stärkere Rolle spielen.“ (Prof. Thomas Pudelko / Foto: Holger Gross)
  • E&W: Wo steht die sozialwissenschaftliche Forschung zur Schulsozialarbeit?

Prof. Thomas Pudelko:  Die Schulsozialarbeit ist in den vergangenen Jahrzehnten erheblich ausgebaut worden. Dabei sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern mitunter enorm. Selbst zwischen zwei Schulen, die nur wenige Hundert Meter voneinander entfernt sind, kann die Situation völlig unterschiedlich sein. Entsprechend vielfältig und heterogen ist die Forschungslandschaft. Das hat sich in den vergangenen Jahren eher noch verstärkt.

  • E&W: Wie hat sich der Blick der Wissenschaft verändert?

Pudelko: Corona war ein Einschnitt. Bis dahin wurde primär Begleitforschung betrieben, ging es um Ausstattung und Steuerung der Schulsozialarbeit, häufig länderspezifisch orientiert oder auf einzelne Programme bezogen. Die Bedarfe wurden zumeist aus dem Blickwinkel der Professionellen gesehen. Durch die Pandemie war das auf einmal nicht mehr stimmig. Schule fand plötzlich nicht mehr in der Schule statt. Dadurch richtete sich der Blick der Wissenschaft verstärkt auf die Bedarfe der Adressaten, der Nutzerinnen und Nutzer der Schulsozialarbeit.

  • E&W: Welche Konsequenzen hatte das für die Forschung?

Pudelko: Es geht heute zunehmend weniger um den Einzelfall der Programme. Stattdessen rückt die Orientierung am Sozialraum und an der Lebenswelt der Zielgruppe in den Mittelpunkt. Damit richtet sich der Blick auf die Problemlagen außerhalb des engeren sozialpädagogischen Fokus. Schülerinnen und Schüler, aber auch Eltern haben eigene Bedarfe. Zudem zeigte die Pandemie: Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter wurden nicht nur als Sorgenakteure wahrgenommen, sondern als Kommunikationspartner. Natürlich orientiert sich die Schulsozialarbeit am Handlungsort Schule. Es gibt aber viele Dinge, die jenseits davon passieren und für sie relevant sind.

  • E&W: Finden die Forschungsergebnisse ihren Weg in die praktische Schulsozialarbeit?

Pudelko: Die Transferfähigkeit der Ergebnisse war schon immer ein Problem. Die Akteure vor Ort sind oft nicht die Auftraggeber. Doch nur diesen werden die Ergebnisse vorgestellt. Das macht es oft schwierig, sie über einen begrenzten Kreis Interessierter hinaus zu transferieren. Das Ergebnis sind Insellösungen. Aber auch die Forschung muss sich an die Nase fassen. Sie sollte ihre Ergebnisse immer so aufbereiten, dass diese für die Praxis relevant sind und dort als Anregung für die eigene Tätigkeit verstanden werden können. Das Problem dabei: Die Vielfalt der örtlichen Strukturen macht die Übertragung oft nicht einfach.

  • E&W: Wie lässt sich der Informationsfluss verbessern?

Pudelko: Generell hängt viel vom persönlichen Engagement der Kolleginnen und Kollegen ab, die Funktionen als Koordinatoren oder Multiplikatoren einnehmen. Sie sind der Dreh- und Angelpunkt. Der Wissenstransfer klappt dort gut, quantitativ wie qualitativ, wo Menschen seit Jahren in so einer Funktion arbeiten. Wichtig ist aber auch, ob die Schulsozialarbeit vor Ort von einer einzelnen Person oder einem Team geleistet wird. Letzteres bietet erhebliche Vorteile. Und natürlich muss es überhaupt Zeit für Fortbildungen geben.

  • E&W: Hält die Forschung Schritt mit der Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung?

Pudelko: Die Vielfalt in den Klassenzimmern durch Inklusion, Diskriminierung und Demokratiebildung spielen zunehmend eine Rolle in der Forschung und werden mit Blick auf Schulsozialarbeit thematisiert. Die Klassenherkunft ist nach wie vor entscheidend für den Bildungserfolg. Dieses Thema muss sowohl in der Schulsozialarbeit als auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung eine stärkere Rolle spielen. Ähnliches gilt für die Frage des Empowerments, also die nach der Autonomie und Selbstbestimmung. Ob die Selbstbefähigung der Kinder und Jugendlichen gefördert wird, bleibt bislang dem Engagement der einzelnen Fachkraft überlassen.

  • E&W: Sie kritisieren auch den Umgang der Schulsozialarbeit mit der Digitalisierung.

Pudelko: Das Thema Digitalisierung wird häufig darauf reduziert, ob jemand mit dem Tablet umgehen kann. Das ist aber eine verkürzte Betrachtung. Die Schulsozialarbeit muss hier auf der Höhe der Zeit sein, sich informieren, will sie als kompetenter Gesprächspartner wahrgenommen werden. Man muss nicht überall einen Account haben, sollte aber wissen, wovon die Zielgruppen sprechen.