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Hochschulen

Auf Kante genäht

Sowohl die Politik als auch die Hochschulen müssen sich anstrengen, um Forschung, Lehre und Studium zukunftsfähig und gerecht zu gestalten.

Die Zahlen, die Julian Garritzmann mitgebracht hat, sind erstaunlich. Der Politikwissenschaftler von der Goethe-Universität Frankfurt am Main hat untersucht, wie viel Geld weltweit in die Hochschulfinanzierung fließt. „Seit Jahrzehnten sind die Ausgaben in den meisten Ländern ungefähr gleich“, fasst Garritzmann das Ergebnis zusammen. Wenn es zu einem Anstieg kommt, wie in einigen asiatischen Staaten, sind wachsende Studierendenzahlen der Grund, aber nicht ein grundsätzliches Umsteuern bei der Hochschulbildung. Deutschland steht in diesem Vergleich wenig glänzend da. Mit einem Anteil von 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen die Ausgaben hierzulande unter dem Durchschnitt der Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Wissen und Innovation werden immer wichtiger

Garritzmanns Daten illustrieren einen Widerspruch, der seit langem besteht und offenkundig schwierig zu lösen ist. Gerade die reicheren Länder bewegen sich in Richtung Wissensökonomie. Wissen und Innovation werden immer wichtiger. Trotzdem wird nicht mehr Geld in die Hand genommen, um für einen Ausbau der Wissensgesellschaft zu sorgen. Im Bereich Forschung und Entwicklung, auch das zeigt Garritzmanns Untersuchung, gibt es nur bei den Ausgaben privater Unternehmen einen Aufwärtstrend, nicht bei denen des Staates.

Wie lässt sich mit diesem Widerspruch umgehen? Wie lässt er sich lösen? Wo liegen Möglichkeiten und Chancen, wo kann und muss man ansetzen? Mit diesen Fragen beschäftigte sich die 12. GEW-Wissenschaftskonferenz, die die Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit der GEW von 28. Februar bis zum 2. März in Bremerhaven ausrichtete. Unter dem Motto „Hochschule 2030 – Alma Mater in der Transformation“ diskutierten rund 100 Teilnehmende aus Bund, Ländern, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Wissenschaftsorganisationen, Studierendenvertretungen und Gewerkschaften aus allen 16 Bundesländern.

„Die Hochschulen müssen sich den Herausforderungen des gesellschaftlichen Transformationsprozesses stellen.“ (Andreas Keller)

Transformation ist ein großes Wort, das derzeit allzu inflationär verwendet wird. Doch für die Hochschulen hat es eine sehr konkrete Bedeutung. Genauer gesagt, eine doppelte Bedeutung, wie GEW-Vorstand Andreas Keller betonte. „Einerseits müssen sich die Hochschulen den Herausforderungen des gesellschaftlichen Transformationsprozesses stellen: Antworten auf Krisen wie die Klimakrise finden, die Digitalisierung gestalten.“ Zu beiden Themen gab es auf der Konferenz Workshops, in denen in kleineren Gruppen diskutiert wurde. „Auf der anderen Seite müssen wir die Hochschulen selbst transformieren“, sagte Keller – hin zu besseren Arbeitsbedingungen, gleichen Chancen für alle und einer auskömmlichen und nachhaltigen Hochschul- und Studienfinanzierung.

„Die geplante BAföG-Reform ist eine Katastrophe“ (Katja Urbatsch)

Hier liegt vieles im Argen. „Die geplante BAföG-Reform ist eine Katastrophe“, urteilte Katja Urbatsch von arbeiterkind.de. Seit 2008 setzt sich die gemeinnützige Organisation dafür ein, dass auch junge Menschen aus nicht-akademischen Familien studieren können. Nach wie vor sind sie an den Hochschulen stark unterrepräsentiert. Obwohl sie die Mehrheit in der Gesellschaft sind, nimmt nur ein Fünftel von ihnen ein Studium auf. Mit den aktuellen Reformplänen könnte es für sie sogar noch schwieriger werden. Denn im Gespräch sind auch Anhebungen bei der BAföG-Rückzahlungssumme – was gerade Kinder aus ärmeren Familien vor einem Studium zurückschrecken lässt.

Zu hohe Arbeitsbelastung

Auch bei den Beschäftigten an den Hochschulen ist vieles auf Kante genäht. Am Rand der Konferenz und auch in verschiedenen Workshops berichteten viele Teilnehmende von einer hohen Arbeitsbelastung. Dass mehr als zehn Stunden pro Tag gearbeitet wird, ist demnach keine Seltenheit. „Während der Corona-Pandemie wollte ich fast kündigen“, erzählte Derya Gür-Şeker, die gerade an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zur Professorin berufen wurde. Als Mutter von drei Kindern gehört sie zu jenen, die im Hochschulbereich besonders viele Hürden überwinden müssen. „Wir werden nicht gesehen, es ist ein ständiger Kampf“, sagte sie. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise sei die Online-Lehre seit Pandemie-Ende nicht mehr erlaubt. „Das ist zu unflexibel.“ Denn gerade die vulnerablen Gruppen – also Menschen mit Care-Aufgaben, Beeinträchtigung oder nicht-akademischem Hintergrund – würden besonders profitieren, wenn hybride Formate weiterhin angeboten werden, wie eine Studie von Hanna Haag vom Gender- und Frauenforschungszentrum der hessischen Hochschulen zeigte.

Befristungsniveau im Schnitt bei 80 Prozent

Zur Belastung tragen auch die prekären Beschäftigungsverhältnisse bei. „In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdoppelt“, sagte die Soziologin Freya Gassmann, die ihre von der Max-Traeger-Stiftung geförderte Studie vorstellte. Auf eine Professur kommen jetzt acht wissenschaftliche Mitarbeitende. Das Befristungsniveau liegt im Schnitt bei 80 Prozent. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Hochschulen, wobei mehr Drittmittel auch zu mehr Befristung führen. Ob die von der Ampelregierung geplante Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes daran nennenswert etwas ändern wird, bezweifelten viele Konferenzteilnehmende. „Dass Mindestvertragslaufzeiten vorgesehen sind, ist schon ein Fortschritt“, verteidigte die SPD-Politikerin Carolin Wagner die Reformpläne.

Dabei wäre es gar nicht so teuer, befristete Stellen in Dauerstellen umzuwandeln. Die Mehrkosten belaufen sich auf rund 20.000 Euro im Jahr. „Eine Professur kostet mit Ausstattung 500.000 Euro“, rechnete die Präsidentin der TU Berlin, Geraldine Rauch, vor. „Damit könnte man 25 Entfristungen finanzieren.“

Auf eine weitere Möglichkeit wies Garritzmann hin. „Gerade die Bundesländer könnten sehr viel ändern“, sagte er. „Sie haben viel Macht und könnten einfach sagen, wir erhöhen die Bildungsausgaben.“ Derzeit ist das noch wenig wahrscheinlich. „Doch es geht um den Raum des Denkbaren. Wir müssen uns fragen, wo wollen wir hin?“ Antworten darauf will die GEW formulieren. Mit Blick auf ihren Gewerkschaftstag 2025 in Berlin wird der Hauptvorstand ein Programm für Eckpunkte einer zukunftsfähigen Hochschule im Jahr 2030 entwickeln.